Karin Karinna Bühler

  Bildende Künstlerin und Informationswissenschaftlerin. Kritische Neugierde prägt meine Arbeit. Ich analysiere unsere Gesellschaft und hinterfrage die Art und Weise, wie wir mit Sprache, mit Geschichte und Geschlecht umgehen.  


2006

Neue Medien, Audioarbeit, Raum und Zeit, Stimmencollage

Weile mit Weile


Wenn man gut hinhört, vernimmt man das Ticken der Uhr

Audioarbeit
Schweizerdeutsch, aif-Audiodatei, 171 MB, 17 min
3 Sitzgelegenheiten, 3 Bodenarbeiten, 5 Lautsprecher, Soundtechnik

Palais Bleu, Spurensicherung, 18.–20.8.2006

Installationsansicht


Foto: Thomas Karrer
Audioarbeit


Transkript

leises, unentwegtes ticken einer uhr. in den sprechpausen etwas lauter. 

–––

herr s.

eine betreuerin bringt kaffee. er schlürft, dann atmet er laut. er döst. er erwacht: 

– ich bin eingeschlafen. eingeschlafen. ach gott.

wieder das atmen

–––

frau w.

– ich schaue viel fern, höre radio, lese magazine. jetzt gibt es dann viel zu tun, wenn wir umziehen. meine tochter hilft mir. ich war in st.gallen. ich hatte – dings – wie sagt man, wenn man nicht mehr sprechen kann. war vier wochen weg. kam dann nach herisau, dann hierher.

besuch kommt. frau w. ist sofort heiter:

– hoi vreneli. 

– hoi trudeli. muss dir einen gruss ausrichten. ich war gerade auf dem friedhof. vroni hugener und ihr mann lassen dich grüssen.

– danke

– dann habe ich gedacht, ich komme gleich vorbei. ich sagte, du könnest wieder gehen.

– jaja. schon lange.

– sie glaubten es beinahe nicht und ich sagte: wowoll, schon lange.

kurze pause. man hört das atmen von nebenan und vom gang her unverständliches geschwätz und musik aus einem entfernten radio

– jetzt zieht ihr bald um, gell? hast du das zimmer schon gesehen?

– nein.

– es gibt schöne.

– ja, das wird schön.

– ja, das wird schön. und einen lift hat es auch. und einen balkon hat es auch.

– jaja.

– ich gehe jetzt bald. spaziere um die neuen häuser bei der kantonsschule.

– musst dich nicht beeilen.

– konntest du schon mal in den garten sitzen?

– ja, schon lange. heute nicht.

– du, ich vergesse immer den namen des mannes, der jeweils dort im rollstuhl sitzt. weisst du, der bruder von dem ist gestorben.

– herr eugster.

– eugster. genau. der hatte einen bruder, der jeden tag kam. jetzt ist er gestorben. das hat mich sehr bedauert. und das haus der friedel ist angeschrieben: zu verkaufen

– die werden es noch schwierig haben. dort hat es nicht viel sonne.

– aber es ist noch gut erhalten.

– ja, das schon.

– und der stüdli möchte sein haus auch verkaufen.

– das geht besser.

– ja, es hat mehr sonne.

–––

frau h.

– es gibt so viele mitglieder. man weiss gar nicht mehr wo was ist.

sie summt leise.

man hört immer noch musik vom flur her und, wenn man gut hinhört, auch das ticken der uhr.


2006 wurde das ehemalige Bezirkspital und Altersheim zur Wohnbaugenossenschaft Palais Bleu umgenutzt.Die Gruppenausstellung Spurensicherung war Auftakt für die neue Geschichte des Hauses.Bevor die letzten Bewohner:innen des Altersheims das Haus verlassen mussten, habe ich drei Menschen für ein paar Stunden getroffen:


Herr Scherrer, kaum ansprechbar. Sass nur da und schlürfte Kaffee.
Frau Walser, die unternehmungslustige in alter Hülle.
Henriette, die interessant Desorientierte.

Während der Spurensicherung waren die drei Personen samt Umgebung nochmals anwesend.



Recherchebilder und Installationsansichten