7 Fragen an
«Bücher sind zum Lesen, nicht zum Besitzen da»
Die Ausserrhoder Künstlerin Karin K. Bühler über schlaflose Nächte, Altersarmut und patriarchale Strukturen
Jede Woche stellen wir Ostschweizer Kulturschaffenden sieben Fragen und wollen wissen: Was macht sie wütend? Wann hassen sie ihren Beruf? Was machen sie in zehn Jahren? Heute mit der Künstlerin Karin K. Bühler, die in Trogen lebt. Sie findet Menschen zum Heulen, die nichts Gescheites mit ihrem Reichtum anzufangen wissen. Und sprayt demnächst einen Liedtext in ein Gässli in Lichtensteig.
Christina Genova
04.07.2023, 13.44 Uhr
Karin Karinna Bühler wurde 1974 geboren und ist in Herisau aufgewachsen. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in der Genossenschaft Palais Bleu in Trogen. Sie studierte Szenografie an der Hochschule der Künste in Zürich und Informationswissenschaft an der Fachhochschule Graubünden. Seit 2019 leitet sie die Bibliothek Wyborada in St.Gallen.
Karin K. Bühlers Arbeiten sind konzeptionell und hinterfragen gesellschaftliche Wertvorstellungen. Häufig weisen sie einen direkten Ortsbezug auf und gründen auf ausführlichen kulturhistorischen Recherchen. Die Künstlerin, die sich als «Bildhauerin des mentalen Raums» bezeichnet, arbeitet mit Vorliebe textbasiert. In einem Statement schreibt sie: «Das Wort ist ein mächtiges Spielzeug. Und ich möchte spielen.»
Karin K. Bühler wurde mit zahlreichen Werk- und Förderbeiträgen ausgezeichnet; so konnte sie 2022 Dank der Unterstützung der Ausserrhodischen Kulturstiftung eine Recherchereise auf den Spuren der Autorin, Kunstkritikerin und Aktivistin Lucy R. Lippard unternehmen. Ihre Erlebnisse hat sie in einem Blog verarbeitet, den sie in Zukunft mit Fokus auf die Schweiz weiterführen wird.
Wofür haben Sie in den letzten Monaten am meisten Zeit aufgewendet?
Karin K. Bühler: Erfreulicherweise für die bildende Kunst. Kürzlich installierte ich «Darum in die Ferne schweifen», eine Textarbeit aus Metall auf dem Dach der Bahnstation Bernina Diavolezza in den Bündner Bergen. Sie ist im Rahmen der Triennale Kunstwege Pontresina 2023 zu sehen. Aktuell bearbeite ich die Schablone für einen Liedtext, der vor über 150 Jahren als Protestgeste einer Kinderarbeiterin im Toggenburg gesungen wurde. Demnächst werde ich den Text für die Ausstellung Frida, die im Rahmen des Festivals «Kultur verussen» stattfindet, auf die Hauswand in einem engen Gässli in Lichtensteig sprayen.
Und die Idee für eine Intervention am grossem Fenster eines Kunstraums in Athen, der von den Ostschweizer Galeristen Werner Widmer und Jordanis Theodoridis betrieben wird, kristallisiert sich auch langsam heraus. Die Arbeit wird ab dem 1. August zu sehen sein.
Was hat Sie zuletzt wütend (oder traurig) gemacht?
Phu, so vieles liegt im Argen. Es ist nicht so, dass ich pessimistisch wäre. Im Gegenteil. Doch wenn ich so überlege, dann denke ich an die autokratischen, populistischen, nationalistischen Landespräsidenten, an den Ukraine-Krieg und an die petromaskulinen Akteure, in deren Denken eine gesunde Umwelt und Diversität keinen Platz hat. Ich denke an die unbezahlte Care-Arbeit und an die Altersarmut, von der besonders Frauen betroffen sind – und an Menschen, die extrem reich sind und damit nichts Gescheites anzufangen wissen. Es ist zum Heulen.
Was hat Sie zuletzt glücklich gemacht?
Ein Glücksmoment war, als fünf Entscheidungsträgerinnen und -träger des Kunstmuseums St.Gallen (Gianni Jetzer, Melanie Bühler, Angela Hensch, Gaby Senn und Nadia Veronese) sich im Februar 2023 bereit erklärten, mein Manifest zur aktiven Abschaffung von patriarchalen Strukturen in ihrer Institution zu unterschreiben. Sie sind gewillt, das Kunstmuseum in eine Zukunft zu führen, in der den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft bewusst entgegengetreten wird.
In welchen Momenten hassen Sie Ihren Beruf? Und warum sind Sie trotzdem dabeigeblieben?
Hassen ist destruktiv. Das interessiert mich nicht. Mühsam finde ich die schlaflosen Nächte in der Umsetzungsphase von Werken. Unterdessen deute ich diese allerdings als Zeichen dafür, dass mir die Sache wichtig ist, dass ich die bestmögliche Lösung für eine Aufgabenstellung finden möchte. Wenn das dann gelingt, nun ja, dann ist das sehr befriedigend.
Welches Buch würden Sie nie weggeben, und warum nicht?
Für mich sind Bücher zum Lesen da, nicht zum Besitzen. Es gibt zum Glück diverse Möglichkeiten, an kostbaren Lesestoff zu gelangen – nicht nur über das gekaufte Buch. Schlimm fände ich, wenn mir die utopischen, dystopischen, herzzerreissenden Geschichten, die revolutionären Gedanken, die Horizont erweiternden Einblicke in Lebenswelten nicht mehr zugänglich wären.
Bei welcher Musik bekommen Sie Hühnerhaut – und warum?
Am Konzert von Pussy Riot in der St.Galler Grabenhalle richteten sich mir die Härchen auf – weniger wegen der Musik – sondern vielmehr wegen des Muts, der Überzeugung und Dringlichkeit der Musikerinnen und Aktivistinnen, sich laut gegen Putin zu stellen.
Heute in zehn Jahren …
«Heute in zehn Jahren, im Jahr 2033, können wir davon ausgehen, dass die Welt erhebliche Veränderungen erlebt hat.», sagt ChatGPT. Ich auch.«Bücher sind zum Lesen, nicht zum Besitzen da»: Die Ausserrhoder Künstlerin Karin K. Bühler über schlaflose Nächte, Altersarmut und patriarchale Strukturen